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«Ich war immer ein grosser Verfechter von Gina»

In einem Gefängnis passiert heute noch viel auf Papier, auch in der Justizvollzugsanstalt Hindelbank. Doch drei Menschen treiben die Digitalisierung im Frauengefängnis voran: René Dasen, Sicherheitschef, Philipp Furrer, Digitalisierungsspezialist und Rebecca Scholl, Wohngruppenleiterin. Aktuell wird der Ablauf der Urinprobe digitalisiert. Warum es Monate dauert, bis der Prozess elektronisch verfügbar ist.

An der Eintrittspforte von Hindelbank treffen wir René Dasen, den Leiter Sicherheit und Schutz in Hindelbank. Auf dem Weg ins Verwaltungsgebäude begegnen wir zwei Insassinnen, eine trägt eine auffällige rosarote Sonnenbrille. René Dasen macht einen Spruch und sie lacht. Die Verwaltung ist in einem Schloss aus dem 18. Jahrhundert untergebracht. Es ist das Herzstück der einzigen Justizvollzugsanstalt für Frauen in der Deutschschweiz.

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René Dasen arbeitet seit 13 Jahren täglich mit Gina und ist mit der Gefängnissoftware gewachsen. «Ich bin sehr vertraut mit Gina, bei vielen Prozessen, die wir heute anwenden, war ich involviert. Darum war ich auch immer ein grosser Verfechter von Gina», erklärt er. Über die Software laufen unter anderem die Klientinnenverwaltung, das Journal, die Vollzugshandlungen, Daten zu Gesundheit und Entwicklung und die Arbeitsplanung. Mit jeder Frau wird beispielsweise nach dem Eintritt ein individueller Vollzugsplan mit verschiedenen Zielen in Gina angelegt, aufbauend auf dem Delikt und ihrer Vorgeschichte. 

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Papierakten eliminieren

In der Justizvollzugsanstalt Hindelbank sind 107 Frauen untergebracht. Viele Gefängnisprozesse werden nach wie vor auf Papier abgewickelt. Die digitale Administration läuft über zwei verschiedene elektronische Systeme (Gina und die Geschäftsverwaltung), was den Alltag für die Mitarbeitenden erschwert. Das Ziel in Hindelbank ist es, bis Ende 2024 alle Daten zu den Eingewiesenen zu digitalisieren und in einem System, Gina, zu konzentrieren. 

Seit Anfang 2024 verantwortet Philipp Furrer die digitale Entwicklung des Betriebes. Der 47-Jährige ist für alle Applikationen im Gefängnisalltag in Hindelbank zuständig und seine Aufgabe ist es, die Mitarbeitenden mitzunehmen auf die digitale Reise. «Für viele hier ist die Arbeit am Computer nicht ihre Hauptaufgabe, ihnen stehe ich mit Rat und Tat zur Seite», erklärt er.  

Die Dritte im Digitalisierungsbunde ist Rebecca Scholl, sie leitet die Wohngruppe für Massnahmenvollzug. Die 36-Jährige leitet gemeinsam mit ihrem Wohngruppenteam das Pilotprojekt E-Dossier, das digitale Eingewiesenendossier in Gina. Sämtliche physischen Unterlagen in ihrer Wohngruppe hat sie seit Januar 2024 digitalisiert und dadurch Papierakten aufgelöst. Der Pilot soll während der nächsten Monate bis im Sommer 2024 zeigen, was mit dem neuen E-Dossier in Gina gut funktioniert und wo es Verbesserungsbedarf gibt. Nach erfolgreichem Piloten soll das E-Dossier im Gesamtbetrieb der JVA Hindelbank implementiert werden und alle Papierakten verschwinden. 

 

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Drei im Namen der Digitalisierung von links: Philipp Furrer, René Dasen und Rebecca Scholl.

Auf ein System reduzieren

René Dasen: «Ich habe Gina in der Vergangenheit nicht immer geschätzt. Gerade in der letzten Zeit sehe ich, dass sich die Software weiterentwickelt. Es kommt ins Rollen, was wir uns operativ schon lange wünschen». Die Pandemie hat die Digitalisierung auch hier beschleunigt und es wurden mehr Ressourcen in Gina investiert: «Früher haben wir Gina neben unseren Jobs weiterentwickelt. Seit 2023 sind Spezialisten am Werk und die Digitalisierung wurde professionalisiert, das spüren wir», fasst René Dasen zusammen.

Gina wird im Kanton Bern in allen Vollzugseinrichtungen eingesetzt und in jedem Betrieb gibt es eine:n Fachapplikationsverantwortliche:n Gina wie Philipp Furrer, diese tauschen sich einmal pro Monat in einem Meeting aus. Dort werden übergeordnete Anliegen besprochen. Gina wird in Vollzugsanstalten von 16 Schweizer Kantonen eingesetzt, das heisst, die Software muss für viele Beteiligte passen.

«Ich habe Gina in der Vergangenheit nicht immer geschätzt. Gerade in der letzten Zeit sehe ich, dass sich die Software weiterentwickelt. Es kommt ins Rollen, was wir uns operativ schon lange wünschen»

René Dasen

Leiter Sicherheit und Schutz, JVA Hindelbank

Die Urinprobe

Seit einiger Zeit will Hindelbank beispielsweise den Ablauf der Urinprobe digitalisieren. Aktuell nimmt die Wohngruppe eine Urinprobe ab und bringt diese zusammen mit einem Laufblatt an die Loge. Im internen Labor wird der Urin getestet und das Ergebnis ins Laufblatt eingetragen. Das Dokument geht zurück auf die Wohngruppe und die betroffene Frau wird mit dem Ergebnis konfrontiert. Danach folgt ein E-Mail an das Team von René Dasen. Falls der Test positiv auf Opiate, Kokain, Cannabis oder Kreatinin anzeigt, kommt die Abteilungsleitung ins Spiel und leitet den Prozess für das Disziplinierungsverfahren ein. Das Laufblatt geht also dreimal hin und her. «Mir wäre lieber, wenn die Wohngruppe den Test abnimmt, die Abnahme in Gina einträgt und den Prozess im System ans interne Labor delegiert. Das Labor trägt das Resultat direkt in Gina ein und delegiert den Prozess zurück an die Wohngruppe, die dann die notwendige Kommunikation übernimmt», erklärt René Dasen.

Als René Dasen und Philipp Furrer den digitalen Prozess zur Urinprobe (UP) erarbeiteten, mussten sie immer wieder überlegen: Passt das auch für die anderen JVA? «Damit dauert es länger und ist komplexer, bis etwas umgesetzt wird. Beim UP-Prozess schauten wir, ob es in Gina Prozesse gibt, auf denen wir aufbauen können. Je nach dem dauert es ein bis zwei Jahre, bis ein Prozess umgesetzt ist», führt René Dasen aus. Die beiden sind ein gutes Team, René Dasen bringt die Anwenderkenntnisse zu Gina mit und Philipp Furrer hat den nötigen technischen Hintergrund: «Wir funktionieren gut zusammen. Ich mag es, neue Prozesse auszutüfteln und kann von Philipp und seiner hohen Fachkompetenz profitieren», erklärt René Dasen.

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Die Gefängnissoftware wurde kurz nach ihrer Geburt eingeführt: Darum erhielt die Eselin rechts im Bild den Namen Gina.
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In Hindelbank arbeiten rund 100 Mitarbeitende in einer der fünf Abteilungen Vollzug Strafen, Vollzug Massnahmen, Arbeit & Bildung, Zentrale Dienste und Sicherheit.
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In der Wohngruppe Massnahmenvollzug von Rebecca Scholl sind 17 Frauen untergebracht.
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Die Statistik der häufigsten begangenen Straftaten in Hindelbank: 
32 Verstösse gegen das Betäubungsmittelgesetz 28 Tötungsdelikte
24 Betrug und Diebstahl

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In Hindelbank leben Frauen aus zirka 25 Nationen.

Unterschiedliche Bedürfnisse an die Digitalisierung

Wir begleiten Rebecca Scholl auf die Wohngruppe, die sie leitet. Sie arbeitet seit fünf Jahren in der JVA Hindelbank. Die Frauen haben gerade Pause und sitzen draussen an der fast warmen Sonne. Der Tisch in der Wohngruppe ist österlich dekoriert. Rebecca Scholl erklärt mir, dass lediglich sechs Prozent der Gefängnispopulation in der Schweiz Frauen sind: «Weil wir die einzige Justizvollzugsanstalt für Frauen in der Deutschweiz sind, findet bei uns vom offenen bis zum geschlossenen Vollzug alles statt». Die Eingewiesenen in einem offenen Vollzugsregime können an einzelnen Wochenenden nachhause zu ihrer Familie oder sich ihr Programm selbst zusammenstellen. Frauen aus dem geschlossenen Vollzug haben diese Freiheiten nicht oder nur in einem beschränkteren Mass. «Das führt immer wieder zu Spannungen unter den Frauen auf der Wohngruppe. Sämtliche Vollzugsformen unter einem Dach zu vollziehen, ist also immer wieder eine Herausforderung», führt Rebecca Scholl aus. 

Auf ihrer Wohngruppe leben Frauen, die aufgrund einer schweren psychischen Störung eine Straftat begingen. Mit einigen Frauen arbeitet das Team sehr schnell am Austritt. Bei anderen ist unklar, wann sie Hindelbank verlassen werden. «Wir arbeiten mit physischen Ordnern pro eingewiesene Frau und haben uns mit den bestehenden Abläufen gut organisiert. Das Warten auf den technischen Fortschritt ist für uns auf den Wohngruppen gar nicht so schlimm», sagt Rebecca Scholl. Mit workflowbasierten Prozessen hat die Wohngruppe wenig zu tun, nur mit Disziplinierungen, und das eher selten. «Bei uns liegt der Fokus klar auf der digitalen Fallführung, das heisst auf einem kompletten und übersichtlichen digitalen Eingewiesenendossier.» 

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«Bei uns liegt der Fokus klar auf der digitalen Fallführung, das heisst auf einem kompletten und übersichtlichen digitalen Eingewiesenendossier.»

Rebecca Scholl

Leiterin Wohngruppe Massnahmenvollzug, JVA Hindelbank

Mehrarbeit durch Digitalisierung 

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Anders bei René Dasen: «Wir organisieren viele Transporte, Eintritte, Austritte, Besuche und Kontrollen und dabei handelt es sich immer um einen Prozess zwischen verschiedenen Abteilungen. Wir arbeiten also fast ausschliesslich mit Prozessen und die Wohngruppen arbeiten beinahe ausnahmslos mit dem Eingewiesenendossier», stellt René Dasen klar. «Wir von der Abteilung Sicherheit und Schutz arbeiten gut mit den Prozessen in Gina, ich möchte mehr Prozesse zur Verfügung haben und keine Laufformulare mehr herumreichen müssen».

Früher musste René Dasen für jede Disziplinierungsmassnahme nach Hindelbank fahren. «Heute kann ich den Prozess zuhause elektronisch starten und ihn an jemanden im Betrieb delegieren, diese Person eröffnet ihn der betroffenen Eingewiesenen, delegiert ihn zurück und ich kann zuhause weiterarbeiten», führt er aus. 

Es wird für alle eine Erleichterung sein, nur noch ein System zu haben, da sind sich René Dasen, Philipp Furrer und Rebecca Scholl einig. Auch wenn der Weg dorthin intensiv und anstrengend wird.  «Wenn ich neue Leute einarbeite, müssen sie immer mehrere Informatiksysteme lernen. Und es geht lange, bis sie mit allen vertraut sind», erklärt René Dasen. Die letzten Rekrutierungen, die er vorgenommen hat, waren alles Menschen über 50: «Diese muss ich motivieren und mitnehmen, was die Digitalisierung angeht. Ihnen die Ängste nehmen, sie unterstützen und ihnen bei Problemen zur Seite stehen. Das braucht Zeit, Präsenz und Ermächtigung. Befehlen reicht nicht», erklärt er.

Die Digitalisierung hat noch nicht zu weniger Arbeit in Hindelbank geführt: «Bis jetzt eher zu einem gewissen Mehraufwand, aber die Entlastung wird kommen und das spüren die Mitarbeitenden teilweise schon», macht René Dasen klar. Plötzlich klingelt ein Alarm auf mehreren Telefonen in der Loge. Jemand in der Buchhaltung hat unfreiwillig auf den Alarmknopf gedrückt. «Du musst Krisen mögen, wenn du hier arbeiten willst. Darum sind in meinem Team viele reifere Mitarbeitende, durch ihre Erfahrung bleiben sie ruhig und überlegt. Doch sie sind nicht mit der Digitalisierung aufgewachsen und müssen gut begleitet werden», sagt René Dasen.

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