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Matthias Stürmer: «Open Source ist ein Wettbewerbsvorteil»

Das Institut Public Sector Transformation (IPST) der Berner Fachhochschule unterstützt den öffentlichen Sektor bei digitaler Transformation, öffentlicher Beschaffung und organisationalem Wandel. In seinen «Public Sector Perspectives 2025» zeigt das IPST die aktuellen Entwicklungen und Empfehlungen auf. Wir sprachen mit Institutsleiter Matthias Stürmer über seine Leidenschaft für Open Source, aktuelle Aha-Momente und die Herausforderungen im digitalen öffentlichen Sektor.

Matthias Stürmer führt uns vom modernen Hauptcampus an der Brückenstrasse im Marzili in ein älteres Nebengebäude, wo früher die Hauswarts-Wohnung untergebracht war. «Ich habe das Digital Lab für das Interview reserviert, unser Ort zum Lernen und Experimentieren», sagt Matthias Stürmer stolz. Im Innern eröffnet sich eine kleine aber feine digitale Werkstatt, wo die Mitarbeitenden Echtzeit-Umgebungen simulieren sowie prototypische Lösungen entwickeln und testen können. 

Herr Stürmer, Sie haben langjährige Erfahrung in den Bereichen Open Government, Open Data und Public Sector Innovation. Was hat Sie zuletzt besonders überrascht?
Matthias Stürmer: Überraschungsmomente erlebe ich ständig – das ist das Spannende an meinem Job. Erst heute Morgen hatte ich einen Austausch mit meinem Doktoranden, der zu Large Language Models forscht. Dabei werden Fragen generiert, beantwortet und anschliessend von einem weiteren System bewertet. Das fasziniert mich technisch sehr. Gleichzeitig finde ich auch juristische Fragestellungen spannend, zum Beispiel wie ein Gesetz politisch entsteht. Ebenfalls Data Governance und Data Management beschäftigen mich stark. Wir arbeiten zum Beispiel daran, wie der Staat seine Daten idealerweise organisieren und als Open Government Data veröffentlichen sollte.

Was treibt Sie an, sich so intensiv mit der Digitalisierung des öffentlichen Sektors zu beschäftigen?
Ich sehe grossen Handlungsbedarf. Privat nutzen wir moderne Tools, lieben unsere Smartphones und Cloud-Fotospeicher. In der Verwaltung hingegen arbeitet man oft mit alten Applikationen und schwer zugängliche IT-Systemen. Ich möchte helfen, diesen Rückstand aufzuholen. Meine Motivation wird in der Verwaltungsforschung als «Public Service Motivation» bezeichnet. Diese beschreibt, warum Personen sich im öffentlichen Sektor für das gesellschaftliche Wohl betätigen und so «Public Value» generieren. Gleichzeitig spornen mich der Innovationsgeist und die praktische Umsetzung des Privatsektors an. Darum sind wir an der BFH häufig Brückenbauer zwischen IT-Firmen und Behörden. Dieser Mix entspricht auch ziemlich genau unseren Finanzierungsverhältnissen: Etwa die Hälfte unserer Mittel kommt von der öffentlichen Hand für Forschung und Lehre, die andere Hälfte erwerben wir im Wettbewerb mit anderen Hochschulen. So haben wir den idealen Mix aus Theorie und Praxis.

Matthias Stürmer sitzt auf einem gelben Sessel und trägt ein dunkelblaues Hemd

Was ist dabei Ihre grösste Herausforderung?
Organisatorische Silos. Verwaltungen arbeiten meist innerhalb ihrer Strukturen und Budgets. Echter Nutzen entsteht aber vor allem durch Kooperation und Skaleneffekte – wenn mehrere Behörden Projekte gemeinsam angehen. Jeder IT-Einkauf bringt eigene Datenbanken und Sicherheitsbarrieren mit sich. Den Austausch zwischen diesen Systemen zu ermöglichen, ist oft kompliziert. Und man darf nie vergessen: Wir starten nicht auf der grünen Wiese, sondern müssen bestehende Prozesse und Systeme weiterentwickeln. Das ist bei einem Startup einfacher.

Was motiviert Sie, trotz dieser Hürden weiterzumachen?
Die vielen kleinen Erfolgserlebnisse und die spürbaren Fortschritte. Das EMBAG (Bundesgesetz über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben) beispielsweise war vor zehn Jahren noch undenkbar. Nun müssen Behörden auf Bundesebene eigens oder durch Externe entwickelte Software als Open Source veröffentlichen. Das zeigt, dass unsere Arbeit tatsächlich Wirkung entfaltet. Ausserdem bin ich Optimist. Wenn alles schon perfekt wäre, was würde ich dann die nächsten zwanzig Jahre tun?

Wo sehen Sie in diesem Jahr den grössten Handlungsbedarf im öffentlichen Sektor?
Alle 29 Themen aus unseren «Public Sector Perspectives 2025» sind wichtig. Sie reichen von Gesellschaft, Nachhaltigkeit und Smart Government bis hin zur Frage, wie sich Verwaltung organisieren und wie sie beschaffen soll. Ich könnte keines davon hervorheben, ohne die anderen zu schmälern.

«96 Prozent der IT-Dienstleister nutzen bereits heute Open-Source-Software. Die restlichen vier Prozent wissen es nur nicht. Das sagt unsere Open Source Studie.»

Matthias Stürmer

Leiter des Instituts Public Sector Transformation (IPST) der Berner Fachhochschule (BFH)

Welche politischen Weichenstellungen sind 2025 besonders relevant?
Ein grosses Thema ist die Swiss Government Cloud für den Bund und die Kantone. Der Kredit von 250 Millionen Franken wurde zwar schon letzten Dezember genehmigt, aber bald erfolgen die öffentlichen Ausschreibungen. Ausserdem kommt bald das Mobilitätsdateninfrastrukturgesetz (MODIG) ins Parlament, nachdem es drei Jahre pausierte. Und das Thema digitale Souveränität gewinnt angesichts geopolitischer Entwicklungen enorm an Bedeutung. In diesem Kontext erarbeitet der Bundesrat eine Strategie, die in Kürze erscheinen dürfte. Und auch bei der Swiss Government Cloud verlangt das Parlament, dass Open Source Technologien zur Stärkung der digitalen Souveränität bevorzugt werden.

Matthias Stürmer Hochformat 400 600

Sie sagen, Open Source sei inzwischen ein klarer Wettbewerbsvorteil. Können Sie das erklären?
Früher war ich der «Open Source Rebell» – heute denken viele ähnlich wie ich. Ein anschauliches Beispiel ist Kitax, eine Software für Betreuungsgutscheine in der Stadt Bern. Zunächst war der IT-Dienstleister skeptisch gegenüber der Offenlegung des Quellcodes. Inzwischen hat er Dutzende weitere Behörden gewonnen, weil er dank Open Source flexibler agieren und sein Angebot ausweiten konnte. Auch die Gesetzeslage spielt Open Source in die Hände: Der Cyber Resilience Act (CRA) der EU  schreibt vor, dass man künftig eine «Software Bill of Material», eine Software-Stückliste, vorlegen muss, um Sicherheitslücken besser nachverfolgen zu können. Und wie erwähnt muss durch das EMBAG sämtliche Bundes-Software offengelegt werden. In Ausschreibungen spielt deshalb Open Source-Erfahrung eine immer grössere Rolle. Das alles zusammen macht Open Source für Unternehmen attraktiv – auch, um gute Entwickler:innen zu gewinnen, die gerne ihre Arbeit in Communities präsentieren.

Gebäude BFH Marzili 1700 970

Das Institut Public Sector Transformation gehört zum Departement Wirtschaft der Berner Fachhochschule. Der Campus ist im Berner Marziliquartier.

Wie reagiert man auf den anhaltenden Fachkräftemangel?
IT-Fachleute möchten sich weiterentwickeln, an spannenden Projekten arbeiten und neue Technologien ausprobieren. Als Arbeitgeber sollte man ihnen Raum für Austausch in Open Source Communities geben. In der Schweiz haben wir dafür den Verein CH Open, in dem ich engagiert bin. Zudem organisieren wir als IPST auch Hackathons, bei denen man zwei Tage lang ungestört an Lösungen tüftelt - ohne Compliance Anforderungen und Management-Overhead.

Welche KI-Projekte haben Sie aktuell am Laufen?
Sehr spannende: Immer mehr Gerichte stellen Urteile anonymisiert online. Das ist gut für die Justiztransparenz, aber es birgt auch die Gefahr der Re-Identifikation der involvierten Personen. Darum haben wir in einem Forschungsprojekt untersucht, wie sich der Zugang zu Urteilstexten verbessern lässt und gleichzeitig Datenschutz und „Recht auf Vergessen“ gewahrt bleiben. Neu haben wir ausserdem ein Nationalfonds- und ein Innosuisse-Projekt zu KI bei öffentlichen Beschaffungen gestartet. Einerseits wollen wir so die Nachhaltigkeit in den Ausschreibungen messen und sichtbar machen. Andererseits geht es den zwölf Projektpartnern und uns darum, die Beschaffungsverfahren sowohl für die Auftraggeber als auch für die Anbieter effizienter zu machen. 

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Public Sector Transformation – speziell in Ihrem Institut?
Ich wünsche mir noch mehr interne Vernetzung, damit wir unser Fachwissen intensiver teilen können. Mir schwebt ein vernetztes Datenmodell vor, mit dem wir bei jeder Fragestellung schnell sehen können, wer das passende Know-how hat. Aktuell ist unser eigenes Wissensmanagement noch nicht optimal aufgestellt – das möchte ich unbedingt verbessern.


💡Seit November 2023 ist die GLAUX GROUP Partnerin des Instituts Public Sector Transformation. Wir verfolgen interessiert die Erkenntnisse des Instituts zur Digitalisierung der öffentlichen Hand. Auch trifft man uns an Netzwerkanlässen der BFH.


Zu Matthias Stürmer

Matthias Stürmer ist Professor an der Berner Fachhochschule (BFH) und leitet das Institut Public Sector Transformation mit rund 60 Mitarbeitenden im Departement Wirtschaft. Gleichzeitig ist er Dozent am Institut für Informatik der Universität Bern. Seine Arbeitsschwerpunkte umfassen Digitalisierungs-Themen wie digitale Nachhaltigkeit, Open Source Software, künstliche Intelligenz, Natural Language Processing (NLP), Open Data, Linked Data, Open Government sowie öffentliche Beschaffung.

Über das Institut Public Sector Transformation (IPST)

Offen, innovativ und nachhaltig – so stellt sich das IPST den öffentlichen Sektor vor. Die Vision: Der öffentliche Sektor fördert das Gemeinwohl (Public Value) und treibt die nachhaltige Entwicklung von Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft voran. Mit interdisziplinären Kompetenzen in digitaler Transformation und Nachhaltigkeit unterstützt das IPST Bund, Kantone und Gemeinden auf ihrem Weg in die digitale Zukunft.

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